Projekt: Jüdisches Leben in Löhne dokumentieren

Noch immer gibt es wenig Forschungsbeiträge zum jüdischen Leben in Löhne, dies möchten wir ändern. Mit der Übernahme der Sonderausstellung „Eva, Simon und die anderen – Jüdische Geschichte und Kultur im Raum Herford“ aus der Gedenkstätte Zellentrakt in Herford war für uns der Anspruch verknüpft, erste Ergebnisse auch für Löhne vorstellen zu können.

Noch sind aber nicht alle Quellen ausgewertet und wir freuen uns über Mitstreiter! So auch für das ortsübergreifende Projekt JUWEL: Dies ist ein Gemeinschaftsprojekt des Landesarchivs NRW, des Vereins für Computergenealogie und der Westfälischen Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung zur Auswertung der bereits digitalisierten Quellen.

Hier finden Sie einen ersten Überblick zum Stand des Museums – Projekts und Hinweise auf wichtige Quellen.

In der Ausstellung sind ab dem 6.10. auch persönliche Hinweise zu finden.

Sie haben Interesse, mitzuarbeiten? Dann melden Sie sich gerne!

Jüdisches Leben in Löhne?

Noch bis in das 15. Jahrhundert siedelten sich Menschen jüdischer Abstammung hauptsächlich in den Städten an. Sie hatten keine freie Aufenthaltswahl und mussten den Zuzug beantragen, der gegen die Zahlung von Schutzgeldern jeweils nur für eine begrenzte Zeit gestattet wurde. Da Christen Zinsgeschäfte verboten waren, besetzten sie diese Nische und waren als Geldgeber in vielen Städten zunächst gern gesehen. Mit den Pestepidemien ab dem 14. Jahrhundert, für die die jüdische Bevölkerung fast überall als Sündenbock herhalten musste, änderte sich die Stimmung zunehmend. In Pogromen wurden jüdische Mitbürger vielerorts verfolgt, beraubt und getötet.

Ab dem 15. Jahrhundert wurden sie zunehmend aus den Städten vertrieben. Das aufstrebende Bürgertum sah sie als Konkurrenten: Die Schutzgelder, die sie für den Aufenthalt zahlen mussten, stiegen, Anwesenheitserlaubnisse wurden nicht mehr verlängert. Die Familien wichen auf kleinere Orte aus, wo sie aufgrund eingeschränkter Beschäftigungsmöglichkeiten aber häufig in Armut leben mussten.

Erst die Emanzipationsbewegungen des 19. Jahrhunderts brachten einschneidende Veränderungen: Juden erhielten seit dem so genannten Emanzipationsedikt von 1812 schrittweise mehr Rechte, die  bis zur Erteilung der Bürgerrechte 1871 ausgeweitet wurden. Damit waren sie faktisch gleichgestellt: Ihre Ansiedlung konnte nicht länger an Auflagen geknüpft werden, Berufsverbote wurden wirkungslos und sie erhielten das aktive und passive Wahlrecht. Die junge Stadt Bad Oeynhausen profitierte vom Zuzug jüdischer Hoteliers, Ärzte und Fotografen. In Bünde und Vlotho ließen sich Fabrikanten nieder, die viel Geld in den Aufbau von Handel und Industrie sowie die Infrastruktur fließen ließen.

Problemlage Akten in Löhne

Wie aber sah das jüdische Leben in den Gemeinden der späteren Stadt Löhne aus? Bisher wurde dazu allzu oft geschrieben, hier hätte es keine Juden gegeben. Dies mag in der undurchsichtigen Aktenlage begründet sein: Schließlich entstand die Stadt Löhne erst im Jahr 1969 im Rahmen der Gebietsreform des Kreises Herford. Die fünf kleinen Gemeinden, aus denen sie zusammengefügt wurde, verfügten lange nicht über unabhängige Verwaltungen. Für das hohe Mittelalter gibt es Aktenbestände in Herford, Münster, Minden und Detmold, wo die Akten der heute nicht mehr bestehenden geistlichen und weltlichen Grundbesitzungen verwahrt werden, die hier Land besaßen. Hierzu zählen neben der Herforder Abtei auch das Domkapitel in Minden sowie die Rittergüter Gohfeld, Beck und Ulenburg. Später sorgten Kriege und Verwaltungsreformen für immer neue Gebietszugehörigkeiten. Zudem konnte das jüdische Leben in den kleinen Ortschaften nicht besonders deutlich sichtbar werden, da es im heutigen Löhner Stadtgebiet keine eigene Synagogengemeinde gab und Juden vor dem 1847 verabschiedeten preußischen „Gesetz über die Verhältnisse der Juden“ auch nicht verpflichtet waren, einer Gemeinde anzugehören.  Mit dem Gesetz wurde der sogenannte Parochialzwang eingeführt: Alle in einem einer Gemeinde zugewiesenen räumlichen Gebiet lebenden Menschen jüdischer Abstammung mussten dieser Gemeinde angehören. Die Gemeinden wiederum wurden angewiesen, Religionsunterricht zu erteilen und eine eigenen Verwaltung aufzustellen. Im Gegenzug wurde ihnen gestattet, Steuern von ihren Gemeindemitgliedern einzufordern. Durch das Gesetz entstanden so  zusätzliche Erfassungsstrukturen, die neben den Kirchenbüchern und Standesamtsakten Aufschluss über jüdische Familien in den Löhner Gemeinden geben können. Auf den Karten, die die für die Region Löhne zugeordneten Synagogenbezirke in der Zeit um 1850 neu festgelegten Synagogenbezirke anzeigen, ist zu sehen, dass Mennighüffen wie Kirchlengern zur Synagogengemeinde Bünde gehörten während Gohfeld mit Bad Oeynhausen als sogenannte Filialgemeinde zu Vlotho gehörte. Außerdem erleichterte das Gesetz die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit der Juden. Es mussten keine Aufnahmegesuche mehr gestellt oder Schutzbriefe ausgestellt werden – hiermit fällt eine wichtige Quelle zur regionalen Forschung weg.

Karten und Grenzen

Die wichtigsten Quellen für die Löhner Gemeinden sind die Kirchenbücher und Kirchenbuchanlagen (ab 1822), die Standesamtsregister sowie die Personenstandsregister für Juden und Dissidenten (konfessionsloser Menschen und Angehörigen kleinerer christlicher Kultusgemeinden ab spätestens 1847). Die Art und Weise, nach der diese Quellen angelegt wurden und die politischen Gründe für Erfassungen und Neuanlagen von Registern finden Sie ausführlich im ausgelegten Material in der Ausstellung beschrieben.

Während sich in den nördlich der Werre gelegenen Ortschaften des späteren Löhner Stadtgebietes zunächst kaum Hinweise auf jüdischstämmige Personen finden lassen, sind insbesondere in Gohfeld (Melbergen und Jöllenbeck) im 19. Jahrhundert viele Familien nachweisbar. Genaue Daten finden sich vor allem im sogenannten „Juden- und Dissidentenregister“. Anhand der hier angegebenen Namen lassen sich die Familienzweige weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen und damit zum Teil der schon frühere Nachweis für ein Leben in Löhne bestätigen. Die ältesten bisher nachweisbaren Daten für die Löhner Gemeinden stammen erst aus den 1820er Jahren. In den Registern sind Personen aus Melbergen aufgeführt, die als Wirtsleute, als Lohgerber und Händler arbeiteten.

In den so genannten Juden- und Dissidentenregistern sollten nach dem Willen der Preußischen Regierung alle Personen erfasst werden, die nicht in den üblichen Kirchenbüchern auftauchten. Sie wurden als Anlage geführt. Noch sind für das Gebiet der Stadt Löhne noch nicht alle Register transkribiert und ausgewertet worden. Im Online-Projekt der Archie und des Vereins für Computergenealogie und „JUWEL“ können sich alle Interessierten anmelden und mithelfen.

In den Registern lassen sich einzelne Eintragungen nach Jahren auslesen und mit einander in Beziehung setzen. So können daraus in manchen Fällen kleine Familiengeschichten rekonstruiert werden.

Wie im Fall des Gastwirts Aron Mendelsohn aus Melbergen Nr. 34: Er ist 1859 im Alter von 85 Jahren verstorben. Eine Ehefrau ist aus den vorliegenden Akten bisher nicht nachgewiesen, aber eine Tochter namens Cäcilie (in manchen Einträgen auch Cecilie geschrieben). Sie heiratet am 14.5.1839 Victor Meier, der in den späteren Eintragungen als Gastwirt in der Nachfolge Arons auftritt. Gemeinsam sind für sie in den folgenden Jahren Geburten vermerkt. Leider ist die Kinder- und Müttersterblichkeit in dieser Zeit noch sehr hoch. Im Jahr 1846 verstirbt Sohn Julius im Alter von sechs Jahren, am 10.4.1847 werden ihnen die Zwillinge Emma und Flora geboren. Auch Cäcilie stirbt – ein Datum ist bisher nicht erfasst. Victor Meier heiratet erneut: Hizielda Mendelsohn, mit der er 1857 Tochter Johanna bekommt.

Ebenso aus Melbergen stammte die Familie Heynemann. Harry Heynemann, der als Lohgerber arbeitete, war mit Johanne Heynemann, geb. Eichwald, verheiratet. Sie war laut den Eintragungen in den Listen der Synagogengemeinde als Lederhändlerin tätig. Die Inschrift auf ihrem Grabstein ist noch gut lesbar, er steht heute auf dem Jüdischen Friedhof in Vlotho. Auch gemeinsame Kinder sind in den Listen verzeichnet: Bertha Heynemann, die am 1.3.1874 geboren wird, stirbt schon zwei Wochen später am 19.3.1874. Der Sohn Hermann Henemann stirbt im Alter von 1 3/4 Jahren am 19.12.1873.

Aus der Melbergener Familie Falk sind bisher Jakob Falk und seine Tochter Friederike Falk bekannt, die am 20.3.1855 heiratet.

Nicht zu allen Familien lassen sich in den bisher bearbeiteten Registern so viele Eintragungen finden. Aus manchen Familien sind lediglich Eintragungen zu Geburten enthalten. Wie etwa bei Familie Stern aus Jöllenbeck: Julie Stern (*8.3.1825), Friederika Stern (*12.5.1823) und Hannchen Stern (*1.8.1827).

In weiteren Fällen werden die Namen der Mütter oder Eltern vermerkt, weitere Angaben fehlen. Oder es werden die Mädchennamen oder lediglich die Vornamen der Mütter vermerkt. So lassen sich zwei geburten aus der Familie Stern Jette Michaelis bzw. Jette Bannheim zuordnen (als Mutter eingetragen am 8.3.1825 und am 1.8.1827).

Ebenfalls in Jöllenbeck findet sich die Familie Anschel, Vermerkt ist in den Registern für den 7.7.1846 die Geburt eines Sohnes Julius für den Kleinhändler Levy Anschel und seine Frau Henriette, geb. Weinberg.

Und am 5.9.1836 werden der Färber Abraham Blumenstein aus Jöllenbeck und seine Frau Elise Blumenstein, geb. Hessames oder Hexames (beide Schreibweisen in den Registern vorhanden), Eltern.

Auch im Fall der Familie des Handelsmannes Moses Nathan wird in den Registern lediglich eine Geburt erwähnt: Ihm und seiner Frau Hanna wird am 21.5. oder 21.6. (Datum unlesbar) 1823 der Sohn Abraham geboren.

Von einem weiteren Löhner Ehepaar finden sich wiederum Grabsteine auf dem Vlothoer Friedhof. Isaac Steinberg und Hanna Steinberg, geborene Westphal. In den Registern ist auch hier lediglich eine Geburt eines tot geborenen Sohnes am 27.6.1822 vermerkt.

Die Zugehörigkeit zur Vlothoer Gemeinde

Die Namen der Familien tauchen z.T. auch in den Akten der Synagogengemeinde in Vlotho auf. Einzelne Gemeindemitglieder aus Gohfeld übernahmen dort Ämter, andere sind in den Beleglisten über Zahlungen an die Gemeinde verzeichnet. Einige der Namen sind außerdem auf den Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Vlotho wiederzuentdecken. Denn in Vlotho fand nicht nur der Gottesdienst statt, hier lag auch die jüdische Schule für den Religionsunterricht der Kinder sowie der gemeinsame Friedhof. Von Gohfeld aus war dies alles einen Fußmarsch von mehr als 2 Stunden entfernt. Dort sollte in topographischen Karten noch bis in die 1970er Jahre der Name „Judenberg“ an einen Treffpunkt (nördlich des Kreuzungsbereich Leinkamp/Oberer Hellweg) für den gemeinsamen Gang der Familien nach Vlotho erinnern.

Da der Weg über die Lohe und den Bonneberg vor allem im Winter beschwerlich und der Besuch des Gottesdienstes – und auch der Religionsschule in Vlotho für die Kinder – kaum möglich war, versuchten die Gohfelder Familien, sich mit den Bad Oeynhausenern zu einer eigenen Gemeinde zusammenzuschließen. Alleine hätte keiner der Orte diesen Antrag stellen können. Denn für einen Gottesdienst, in dem die Thora gelesen werden kann, müssen mindestens zehn männliche Mitglieder der Gemeinde anwesend sein. Eine Gemeindegründung war an diese Mindestzahl geknüpft.

Gemeinsam mit Bad Oeynhausen bestand diese Möglichkeit. Schon vor der Antragstellung im Jahr 1857 bei der Königlichen Regierung in Minden, so machten es die Antragsteller deutlich, seien ein gemeinsam genutztes Bethaus in Bad Oeynhausen genutzt worden sowie ein Friedhof angelegt. Dieses Friedhofsgeländes der Gohfelder und Rehmer Gemeindemitglieder soll schon um 1850 vom Posthalter Delkeskamp gekauft worden sein.  Sieben Bestattungen wurden dort vorgenommen bevor mit der endgültigen Ablehnung bezüglich der Gründung einer eigenen Filialgemeinde in Bad Oeynhausen mit der Überführung der hier Bestatteten begonnen wurde.

Auch die Gründung einer eigenen Religionsschule wurde vorangetrieben, aber ebenso abgelehnt. Man einigte sich schließlich mit der Vlothoer Gemeinde auf die Erteilung von Religionsunterricht in einem eigens eingerichteten Schulraum in Bad Oeynhausen, der durch den Vlothoer Lehrer an zwei Tagen in der Woche erteilt wurde.

Die Geschichte der Synagogengemeinde Vlotho wurde von der Mendel-Grundmann-Gesellschaft in Vlotho umfassend bearbeitet. Einige ihrer Veröffentlichungen liegen hier in der Ausstellung aus.

Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus

Mit der zunehmenden Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung zogen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts viele jüdischstämmige Menschen aus den kleineren Orten in die anonymeren größeren Städte. Die diskriminierende Politik zur Zeit des Nationalsozialismus nahm schließlich nicht nur viele Rechte der Emanzipationsgesetzgebung wieder zurück, sondern setzte schließlich die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung als Ziel. Ab 1933 mehren sich deshalb auch die Auswanderungsbewegungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung.

Bereits 1935 wird in einem Erlass an alle Staatspolizeidienststellen die „Erfassung der Juden in Deutschland“ in einer „Judenkartei“ angemahnt, die laufend aktualisiert werden sollte. Auch aus Löhne sind diese Verzeichnisse zum Teil erhalten geblieben. Sie erfassen neben Geburten und Sterbefällen Umzüge und Auswanderungen. Als „Umzug“ sind darin allerdings auch Deportationen in Lager wie Theresienstadt erfasst!

Für viele Opfer des Nationalsozialismus wurden Orte des Gedenkens geschaffen. Besonders die Kunst-Gedenk-Aktion „Stolpersteine“ macht sichtbar, wie nah viele dieser Fälle in unserer Nachbarschaft zu verorten sind. Für jüdischstämmige Menschen wurden in Löhne innerhalb dieser Aktion bisher keine Gedenksteine verlegt. Das liegt nicht daran, dass keine Verfolgung stattgefunden hätte. Auch Ermordungen von zwei Juden aus Löhne sind nachgewiesen. Doch für die Verlegung eines Stolpersteins gilt, dass er an demjenigen Ort verlegt wird, der als letzter frei gewählter Wohnort dieses Menschen belegt ist. Fand vor der Deportation noch ein Umzug statt, wie in zwei Löhner Fällen, ist die Löhner Wohnung als Gedenkort nicht möglich.